Unsere Handlungsfelder im Bereich Governance
Ariane Bischoff: Die Umsetzung der Solinger Nachhaltigkeitsziele und der Klima- und Ressourcenschutz sind nur erreichbar, wenn die gesamte Stadtgesellschaft, also Unternehmen, Verbände, Einrichtungen und private Haushalte, daran engagiert mitwirken.
Ohne verantwortungsvolles Handeln der Unternehmen vor Ort sind die Nachhaltigkeits- und Klimaziele nicht erreichbar: Denn stadtweit gehen rund 38 Prozent des Energieverbrauchs und 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen auf die wirtschaftlichen Aktivitäten der Unternehmen zurück. Ihre Umsetzung ist auch ein wichtiger Erfolgsfaktor für den Wirtschaftsstandort Solingen und für den Erhalt von Arbeit und Ausbildung.
In den letzten Jahrzehnten konnte der gesamtstädtische Energie- und Ressourcenverbrauch der Wirtschaft (Gewerbe, Handel und Dienstleistungen) um rund 37 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden – das zeigt u.a. die gesamtstädtische Solinger Treibausgasbilanz (2023). Dies geht insbesondere auf Fortschritte in den Unternehmen zurück, die auch unmittelbare wirtschaftliche Vorteile bieten.
Der Solinger Fahrplan zur Klimaneutralität – im Rat 2024 beschlossen – verdeutlichen, dass neben dem Energiesparen insbesondere der konsequente Umstieg auf erneuerbare Energien großes Potenzial bietet: Durch einen vollständigen Umstieg der Strom- und Wärmeversorgung auf erneuerbare Energie, wie in Solingen angestrebt, lassen sich knapp die Hälfte (47 Prozent) der stadtweiten Treibhausgasemissionen reduzieren.
Das Ziel von ZWILLING, die absoluten CO₂-Emissionen der Produktions- und Logistikstandorte bis 2030 im Vergleich zum Basisjahr 2021 um 42 Prozent zu senken und am Standort Solingen zu 100 Prozent Grünstrom zu nutzen, zahlt hier deutlich auf die Umsetzung der Solinger Klimaziele ein. Den CO2-Fußabdruck von Produkten zu senken, ist insbesondere mit Blick auf die bisher sehr energieintensiven, fossilen Herstellungsprozesse von Stahl herausfordernd: Mit der Einführung eines Messers aus emissionsreduziertem Stahl, das den CO₂-Fußabdruck im Vergleich zum herkömmlichem Messerstahl um 50 Prozent senkt, zeigt ZWILLING eindrücklich, dass es hier Lösungen gibt. Diese gilt es in die breite Anwendung zu bringen, was auch voraussetzt, dass Verbraucher*innen diese werthaltigen Produkte erkennen und kaufen.
Ein wichtiger Bestandteil des Solinger Fahrplans zur Klimaneutralität ist auch das Ziel, Rohstoffbedarfe und Abfallmengen auf ein Mindestmaß zu reduzieren, indem alle Wirtschaftsakteure daran arbeiten, die Herstellung und Verwendung von langlebigen, kreislauffähigen Materialien und Produkten aktiv gestalten. Dies durch innovative Lösungen voranzubringen, fordert ein weitgehendes Umdenken von Produktionsprozessen, Lieferketten und auch Geschäftsmodellen. In diesem Kontext stellt das Projekt, mit dem Stahlverschnitt aus der ZWILLING Produktion in den Stahlherstellungsprozess zurückgeführt und dort wiederverwertet wird, ein skalierbares, kreislaufförderndes Vorgehen dar.
Ariane Bischoff: Viele Verbraucher*innen lassen sich für ein nachhaltiges, ressourcenschonendes Alltagshandeln gewinnen, wenn sie den Nutzen und den Mehrwert klar erkennen und sie dies ohne großen zusätzlichen Aufwand umsetzen können. Jedoch sind schon die Erzeugung von Lebensmitteln und erst recht die Herstellungsprozesse von Konsumprodukten vielen Menschen zunehmend fremd und nicht Teil ihrer Lebenswelt. So können viele den Aufwand für gesunde, langlebige und werthaltige Produkte oft kaum noch ermessen, so dass sie vermeintlich günstigeren, nicht nachhaltigen Produkten den Vorzug geben – auch wenn sie sich nachhaltige Produkte leisten könnten. Unternehmen, aber auch Handel und Bildungseinrichtungen müssen viel stärker daran arbeiten, Verbraucher*innen eingängig und plakativ die Vorteile zu vermitteln und dies durch praktisches Erleben unterstützen.
Indem ZWILLING für seine hochwertigen Produkte herausstellt, wie langlebig die Materialien sind und wie dieser Vorteil durch Reparierangebote, Nachschärfservice für Messer etc. weiter verstärkt wird, können bewusst handelnde Konsument*innen erreicht werden. Dabei kommt es darauf an, die Nachhaltigkeitsprinzipien erkennbar und durchgängig anzuwenden - also z.B. das Produktdesign darauf auszurichten, FSC®-zertifiziertes, möglichst regionales Holz für Griffe zu nutzen oder Verpackung sparsam einzusetzen und aus recycelter Kartonage herzustellen - so wie ZWILLING es bereits für bestimmte Produktlinien umsetzt. Auch das im Unternehmen entwickelte Vakuumsystem, das Lebensmittel länger frisch hält und damit Verbraucher*innen unterstützt, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, ist ein Beispiel dafür, wie innovative Produkte ein ressourcenschonendes Leben erleichtern können.
In Solingen verfolgt z.B. die Gläserne Werkstatt als Ort für Qualität und Nachhaltigkeit u.a. das Ziel, sich als Marktplatz für nachhaltige Produkte aus Solingen und der Region zu etablieren: Dazu bringt sie als Stadtlabor und Kreativort, z.B. durch Koch-Workshops, Do-it-yourself-Angebote oder Reparaturcafés, Verbraucher*innen aller Altersgruppen ressourcenschonendes Alltagshandeln näher.
Auch die in Solingen breit aufgestellte Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsbildung, die inzwischen durch zielgrupppenspezifische Programme in zahlreichen Kitas, Grundschulen, weiterführenden Schulen, Jugendeinrichtungen bis hin zu Sportvereinen verankert ist, trägt dazu bei, nachhaltige Lebensstile von Kindern, Jugendlichen und Familien zu fördern.
Ariane Bischoff: Menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen, faire Löhne sowie Sozial-, Gesundheits- und Bildungsstandards sind für uns selbstverständlich, weltweit betrachtet jedoch eine riesige Herausforderung und gleichzeitig unverzichtbar, um die universellen Menschenrechte und Nachhaltigkeitsziele erreichen zu können. So arbeitet die Stadt Solingen daran, eine sozial und ökologisch nachhaltige Beschaffung im eigenen Unternehmen voranzutreiben. Aufgabe international tätiger Unternehmen ist es, dass sie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz durch entsprechende Risikoanalysen, Präventions- und Kontrollmechanismen entlang der Wertschöpfungskette schrittweise umsetzen.
Indem ZWILLING einen Verhaltenskodex für Lieferanten mit verbindlichen ökologischen und sozialen Standards anwendet, weltweit Schulungen und Audits für Lieferanten durchführt und an den internationalen ZWILLING Standorten, benachteiligten Kindern und Jugendlichen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung ermöglicht, übernimmt das Unternehmen Verantwortung und zeigt gesellschaftliches Engagement.
Die Umsetzung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Belange entlang der kompletten Wertschöpfungskette und die Durchdringung der teils sehr komplexen Lieferketten ist – auch mit Blick auf die fortlaufenden globalen Veränderungsdynamiken – eine langfristige Aufgabe: Verstärkte Anstrengungen zur Aufdeckung von Lieferkettenrisiken, z.B. durch BSCI-Audits von Lieferanten, wie ZWILLING sie umsetzt, verdeutlichen das Engagement für Lösungsansätze.
Verantwortliche an den Unternehmensstandorten sind gefordert, ggf. vorhandene Missstände in der Lieferkette aufzudecken und Abhilfe zu schaffen. Gleichzeitig gilt es auch, Verbraucher*innen mitzunehmen und zu verdeutlichen, wie Sozial- und Umweltstandards in den Produktlinien realisiert werden. Die Klingenstadt Solingen ist seit 2018 als „Fairtrade Town“ zertifiziert und damit Teil einer Bewegung von mehr als 900 Kommunen weltweit, die sich für eine nachhaltige Beschaffung und Fairen Handel einsetzen und dies durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten fördern. Die Stadt Solingen kooperiert hier mit Vertreter*innen aus Einzelhandel, Kirchen, Zivilgesellschaft und Bildungseinrichtungen. Praxisnahe Anwendungsbeispiele, z.B. von Solinger Unternehmen, sind jederzeit willkommen.